Warum Biographiearbeit und Resilienz in der Beratung wichtig sind

Was treibt Menschen an? Wie gehen sie gestärkt aus Krisen hervor? Wie finden sie neue Wege? Wie schaffen Menschen es, einen erfolgreichen Berufsweg einzuschlagen bei scheinbar schwierigen Ausgangsbedingungen? Wie meistern sie die an sie gestellten Herausforderungen? Auf welche Ressourcen greifen sie dabei zurück? Diesen Fragen sind für mich essentiell in Supervision und Coaching. Die Biographiearbeit mittels Habitustheorie sowie die Resilienztheorie sind wichtige Begleiter bei der Beantwortung dieser Fragen in meiner Arbeit.

Biographiearbeit mittels Habitustheorie

Supervision und Coaching sind immer auch eine Anfrage an den Habitus. Das heißt, jemand kommt in die Beratung und möchte an sich und seinem (beruflichen) Leben arbeiten. Zwangsläufig richtet sich mein Blick als Beraterin auf die Biographie meiner Supervisanden bzw. Coachees. Ich versuche also so verstehen, wo jemand herkommt und wie er dort gelandet ist, wo er gerade steht. Die Habitusanalyse ist seit jeher eine bewährte sozialwissenschaftliche Methode für diese Biographiearbeit. Sie gibt Aufschluss darüber, warum Menschen in bestimmten Grenzen handeln bzw. ihnen Veränderungen schwer fallen. Gleichzeitig konzentriere ich mich in meiner Arbeit nicht zu sehr auf den Habitus, um offen zu bleiben und möglichst viele Perspektiven zu ermöglichen. Denn niemand muss „gefangen sein im eigenen Habitus“.

Menschen als Mitgestalter ihres Lebens

Das Resilienzkonzept sieht den Menschen als Mitgestalter seines Lebens bzw. seiner Laufbahn. Es verlangt keine Habitustransformation, keinen Bruch mit dem „Sosein“ für eine gesunde und erfolgreiche Lebensbewältigung. Sondern es schaut darauf, was der gegebene Habitus möglich macht und wie sich Menschen an bestimmte Lebenssituationen und Widrigkeiten anpassen. Besonders widerstandsfähige Menschen bewerten schwierige Ereignisse anders bzw. positiver als weniger resiliente. Diese ressourcenorientierte Forschung ist möglicherweise zu optimistisch und stellt an den Menschen die Anfrage als „Arbeitskraftunternehmer“, der stets gefordert ist, sich selbst zu optimieren und sein eigenes Wohl allein im Blick zu haben.

Gemeinsamkeiten von Habitusanalyse und Resilienzkonzept

Was haben die Habitusanalyse und Resilienzkonzept gemeinsam? Sie arbeiten mit dem, was den Menschen persönlich ausmacht, was ihm an intrinsischen und externalen Mitteln zur Verfügung steht. Sowohl nahestehende Personen in der Familie als auch prägende externe Bezugspersonen spielen im Laufe des Lebens eine entscheidende Rolle – bei der Habitusanalyse in Form des Erbes und des Sozialkapitals, in der Resilienzforschung im Gewand der Risiko- und Schutzfaktoren. Die „Ausstattung“ einer Person ist bei beiden Forschungsansätzen ausschlaggebend für den individuellen Lebensweg – entgegen der Lebenslaufforschung beispielsweise.

Habitus- und Resilienzkonzept in Kombination

Beide Methoden können sich sehr gut ergänzen, da sie ressourcen- und nicht defizitorientiert angelegt sind. Wie kann diese Kombination in der Praxis aussehen? Nachdem ich als Supervisorin in den ersten Sitzungen meinen Supervisanden bzw. Coachee kennengelernt und seinen Habitus eindringlich ergründet habe, konzentriere ich mich in der zweiten Hälfte des Prozesses auf die im Laufe des Lebens wirkenden Risiko- und Schutzfaktoren sowie die entwickelten Resilienzfaktoren. In der weiteren Beratungspraxis können wir gemeinsam daran arbeiten, diese individuellen Resilienzfaktoren gezielt zu stärken. Auch wenn Supervision und Coaching an sich ressourcenorientiert angelegt und auf die Stärkung der Resilienz ausgerichtet sind, so kann es doch hilfreich, sich gezielt den Methoden der Resilienzforschung zu bedienen.

 

Quellen:

Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2009). Resilienz (5. aktualisierte Auflage). München: Ernst Reinhardt Verlag.

Kalisch, Raffael (2020). Der resiliente Mensch – Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. München: Piper Verlag GmbH.

Kunzler, A. M. et al. (2018). Aktuelle Konzepte der Resilienzforschung. Nervenarzt 7/2018, 89: 747-753. Online publiziert: 23. Mai 2018. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00115-018-0529-x.pdf .

Lyssenko, L. et al. (2010). Resilienzforschung – Relevanz für Prävention und Gesundheitsförderung. Bundesgesundheitsblatt 2010, 53: 1067-1072. Online publiziert: 28. September 2010. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00103-010-1127-7.pdf .