Das Risikofaktorenkonzept

Was ist mit Risiko- und Schutzfaktoren von Resilienz gemeint? Das Risikofaktorenkonzept bezieht sich auf Faktoren und Lebensbedingungen, die für die kindliche Entwicklung eine Gefahr darstellen und psychische Störungen und Erkrankungen verursachen können. Diese Risikofaktoren lassen sich unterscheiden in aus der psychosozialen Umwelt des Kindes entstandene Risikofaktoren oder Stressoren und kindbezogene Vulnerabilitätsfaktoren (biologische und psychologische Merkmale), die nochmals unterteilt werden in primäre (genetische Dispositionen, Komplikationen bei der Geburt) und sekundäre (in der Interaktion mit der Umwelt erworbene) Faktoren und. Vulnerabilitätsfaktoren wirken sich weniger gravierend auf die Kindesentwicklung aus als die psychosozialen Risikofaktoren und Stressoren. Biologische Risiken spielen umso weniger eine Rolle, je älter ein Kind wird.

Was bedeuten Risikofaktoren für die Entwicklung von Resilienz?

Nicht jeder Risikofaktor muss automatisch eine Entwicklungsgefährdung darstellen. Die tatsächliche Entwicklungsbeeinträchtigung durch Risikofaktoren hängt zusätzlich von der Kumulation der Belastungen (mehrere Belastungen treten gleichzeitig auf), der Dauer bzw. Kontinuität der Belastung (lang andauernde Problemsituationen), der Abfolge der Ereignisse (je früher auftretender, desto wirkmächtiger auch in der Zukunft), dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes (während der Geburt und Säuglingszeit besonders schwerwiegend, aber je nach Alter unterschiedlich wirkungsmächtige Faktoren), geschlechtsspezifischen Aspekten (Jungen anfälliger in der Kindheit, Mädchen in der Pubertät) sowie der subjektiven Bewertung der Risikobelastung (eigene positive oder negative Bewertung ist einflussreich) ab.

Das Schutzfaktorenkonzept

Merkmale, die psychische Störungen oder eine unzureichende Entwicklung verhindern oder abmildern und die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung erhöhen, werden als Schutzfaktoren bezeichnet. Bei den Schutzfaktoren, die auch als entwicklungsfördernde, protektive oder risikomildernde Faktoren bekannt sind, wird zwischen grundlegenden Schutzfaktoren und förderlichen Bedingungen unterschieden. Von förderlicher Bedingung ist dann die Rede, wenn ein Faktor protektive Wirkungen freisetzt, auch wenn kein erhöhtes Risiko besteht. Ein grundlegender Schutzfaktor wäre solcher, der eine Risikosituation abpuffert (Puffereffekt) oder beseitigen kann. Damit ein Schutzfaktor sich entfalten kann, muss also eine Gefährdungssituation vorliegen. Darüber hinaus müssen Schutzfaktoren oder risikomildernde Faktoren zeitlich vor den risikoerhöhenden Faktoren auftreten. Nur so können sie Einfluss auf deren Risikowirkung haben.

Welche Schutzfaktoren für Resilienz gibt es?

Es können vier Kategorien protektiver Faktoren unterschieden werden: Generell protektive Faktoren (unmittelbar förderliche Auswirkungen, sowohl bei geringem als auch bei hohem Risiko), stabilisierende protektive Faktoren (stabilisierende Wirkung auf eigene Kompetenz angesichts steigenden Risikos), ermutigende protektive Faktoren (bestärken die Auseinandersetzung mit Stress, Kompetenz zur Stressbewältigung nimmt zu), protektive, aber reaktive Faktoren (grundsätzlich vorteilhaft, aber nur in geringem Maße bei hohem Risiko).

Die Art dieser Schutzfaktoren kann unterschieden werden in individuelle/personale (z. B. Persönlichkeitseigenschaften), mikrosoziale/familiäre Faktoren in der direkten Umwelt (z. B. Familie) und Faktoren innerhalb des Makrosystems (weiteres soziales Umfeld) des Kindes.

Unter die personalen Schutzfaktoren fallen kognitive und affektive Merkmale sowie körperliche Faktoren und biologische Parameter. So ist beispielsweise das Geschlecht als Schutzfaktor interessant, da bis zur Pubertät Mädchen weniger von psychischen Erkrankungen betroffen sind bzw. Mädchen stärker auf personale Schutzfaktoren zurückgreifen, während Jungen Unterstützung eher im Außen suchen. Bei den biologischen Faktoren spielen außerdem ein guter körperlicher Gesundheitszustand, die Position in der Geschwisterreihenfolge und (molekular)genetische, psycho- und neurophysiologische Korrelate eine entscheidende Rolle.

Was bedeuten Schutzfaktoren für die Entwicklung von Resilienz?

In Bezug auf die am intensivsten erforschten kognitiven und affektiven Faktoren kristallisierten sich Parameter wie Selbstwert, ein positives Selbstkonzept, eine optimistische Lebenseinstellung sowie eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung als schützend heraus. Auch Vermeidungsstrategien und emotionsbezogenes Coping scheinen in Bezug auf bestimmte Situationen eine schützende Wirkung zu haben. Während auch der Faktor Intelligenz erwiesen ist, wird die Wirkung von Religiosität, Spiritualität sowie internalen Kontrollüberzeugungen oder Selbstregulation kontrovers diskutiert. Verschiedene Studien zeigen auf, dass in Bezug auf familiäre Schutzfaktoren die Familienzusammensetzung eine geringere Bedeutung hat als die Qualität der Bindungen und Beziehungen innerhalb der Familie. Ein positives Familienklima, genügend Raum zur eigenen Entfaltung, gute Geschwisterbeziehungen sowie Merkmale der Eltern (Bildung, Gesundheit, Bewältigungsstil) können ebenfalls als Schutzfaktoren ausgemacht werden. Soziale Schutzfaktoren, die sich auf den Bereich der sozialen Unterstützung in belastenden oder gefährlichen Lebenssituationen beziehen, können in der positiven Beziehung zu Erwachsenen oder Gleichaltrigen außerhalb der Familie bestehen. Mit zunehmendem Alter des Kindes spielt hier auch die Bildungseinrichtung eine wichtige Rolle. Ihre Wirkung entfalten die meisten Schutzfaktoren in Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht der Individuen, von den Risikobedingungen sowie von der Ausprägung des Faktors und dessen Zusammenwirkens mit anderen Faktoren.

Das Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren

Es ist nicht immer klar abzugrenzen ist, was ein Schutz- und was ein Risikofaktor ist. Schutzfaktoren können weder isoliert voneinander betrachtet noch Schutz- und Risikofaktoren gegeneinander aufgerechnet werden, sie beeinflussen sich vor allem gegenseitig in einem komplexen Wirkungsmechanismus. Vulnerabilität und Resilienz sind das Ergebnis dieses Zusammenwirkens und somit keine überdauernden Persönlichkeitseigenschaften, sondern können sich im Kontext von Alltagsanforderungen und Ressourcen des Individuums verändern. Zusammenfassend betrachtet spielen bei diesem Zusammenwirken von Risiko- und Schutzfaktoren die Kombination und Abfolge im Auftreten der Faktoren, ihre Interaktion sowie ihre Kumulation, die Wirkungsweise in Phasen erhöhter Vulnerabilität und Alters- und Geschlechtsunterschiede eine entscheidende Rolle. 

Resilienzfaktoren

Zu den personalen Ressourcen der Schutzfaktoren zählen in der Forschung die sogenannten Resilienzfaktoren, wie sie beispielsweise in der Kauai-Studie nachgewiesen wurden. Dies sind im Wesentlichen sechs Faktoren, welche die Resilienz einer Person fördern: Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenz, adaptive Bewältigungskompetenzen und Problemlösen. Die Resilienzfaktoren sind nicht angeboren oder genetisch bedingt, sondern werden vom Kind durch die Interaktion mit seiner Umwelt, durch die erfolgreiche Bewältigung von (herausfordernden) Entwicklungsaufgaben erworben und unterstützen das Individuum nachhaltig bei der Bewältigung schwieriger Lebenssituationen. 

Kann man Resilienz messen?

Bisher wurde kein Goldstandard zur Messung von Resilienz entwickelt, es existieren verschiedene querschnittlich eingesetzte Resilienz-Skalen. Um Resilienz transdiagnostisch und über quantitative Zielgrößen zu operationalisieren, wurde der Resilienz-Sore (R-Score) entwickelt. Dabei wird von mindestens zwei Messzeitpunkten (T1 und T2) vor und nach der Stressorexposition ausgegangen. Resilienzfaktoren sind bisher durch Studien nicht eindeutig belegbar. Oft machen sie nur einen geringen Teil der Varianz in Bezug auf die Anpassung an Stresssituationen aus. Auch die (neuro-)biologische Resilienzforschung gewinnt durch neue Technologien immer mehr an Bedeutung und das Interesse an einem transnationalen Ansatz steigt. Viele Ergebnisse aus der Resilienzforschung mit Tiermodellen werden auf die Humanforschung übertragen, um so wirksame Interventionen zur Resilienzförderung daraus ableiten zu können.

Erforscht ist, dass Resilienz durch die positive (Um-)Bewertung einer Situation durch das Individuum entsteht. Das Phänomen der Resilienz besteht darin, dass Menschen trotz Widrigkeiten gesund bleiben und sie schwierige Zeiten positiv bewältigen. Resilienz als Ergebnis eines dynamischen Anpassungsprozesses ergibt sich aus der individuellen Bewertung (Wahrscheinlichkeit, Art und Größe, Bewältigungspotential) von Gefahren.

„Es kommt darauf an, wie wir mögliche Gefahren oder Bedrohungen bewerten. Alle anderen Einflussfaktoren, so behaupte ich, wirken deshalb schützend auf die psychische Gesundheit, weil sie entweder die Stressoren selbst reduzieren oder weil sie indirekt eine positive Bewertung von Stressoren fördern.“ (Kalisch, 2020, S. 200).

Optimismus und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung gehören zu den beiden wichtigsten individuellen Resilienzfaktoren, vor allem weil es um Stressoptimierung in schwierigen Lebenssituationen geht. Wer optimistisch denkt, schätzt die Wahrscheinlichkeit und Größe einer Bedrohung als geringer ein. Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung schätzen das Bewältigungspotential als positiv ein. Soziale Unterstützung als dritter wichtiger Faktor gibt dem Individuum das Gefühl, sich auf andere verlassen zu können, falls doch etwas schief geht.

 

Quellen:

Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2009). Resilienz (5. aktualisierte Auflage). München: Ernst Reinhardt Verlag.

Kalisch, Raffael (2020). Der resiliente Mensch – Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. München: Piper Verlag GmbH.

Kunzler, A. M. et al. (2018). Aktuelle Konzepte der Resilienzforschung. Nervenarzt 7/2018, 89: 747-753. Online publiziert: 23. Mai 2018. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00115-018-0529-x.pdf .

Lyssenko, L. et al. (2010). Resilienzforschung – Relevanz für Prävention und Gesundheitsförderung. Bundesgesundheitsblatt 2010, 53: 1067-1072. Online publiziert: 28. September 2010. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00103-010-1127-7.pdf .