Ergebnis eines dynamischen Anpassungs- und Entwicklungsprozesses
Während ich mich in meinem letzten Artikel dem Begriff sowie dem Forschungsstand gewidmet habe, möchte ich nachfolgend auf die Merkmale von Resilienz eingehen.
Da Resilienz nicht, wie zu Beginn der Forschung angenommen, angeboren ist, sondern aus der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt entsteht, kann von einem dynamischen Anpassungs- und Entwicklungsprozess ausgegangen werden. Dieser Prozess kommt dadurch zu Stande, dass ein Mensch eine (schwierige) Lebenssituation zu bewältigen hat. Weil Resilienz demnach keine Persönlichkeitseigenschaft ist, ist sie immer an zwei Bedingungen geknüpft: 1. Es liegt eine Risiko- bzw. herausfordernde Situation vor oder eine Entwicklungsaufgabe steht an. 2. Aufgrund vorhandener Fähigkeiten bewältigt die Person diese Situation positiv. Da der Anpassungs- und Entwicklungsprozess der Person dynamisch ist und sie immer wieder neue sowohl positive als auch negative Lebenserfahrungen macht, heißt das auch, Resilienz kann sich im Laufe eines Lebens verändern.
Resilienz ist nicht dauerhaft stabil und unerschütterlich
Somit kann Resilienz auch nicht als stabil über das gesamte Leben hin betrachtet werden. Sie ist also kein unerschütterliches Gebilde, welches Unverletzbarkeit verspricht, sondern muss als variable Größe verstanden werden. Während Menschen also bestimmte Krisen gut meistern, sind sie mit anderen wiederum überfordert – immer in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden personalen und sozialen Ressourcen. So können soziale Schutzfaktoren, wie die Beziehung zu einer halt gebenden Bezugsperson, einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung haben.
Resilienz ist nicht universell
Da Kinder und Erwachsene in unterschiedlichen Lebensbereichen unterschiedlich kompetent sein können, ist Resilienz nicht universell zu sehen bzw. auf alle Lebensbereiche übertragbar. Auch bereichsspezifische Resilienzen können eine Rolle spielen, beispielsweise in der Unterscheidung von sozialer Resilienz oder emotionaler Resilienz. Die Potentiale von Resilienz sind sehr vielschichtig, da biologische, psychologische und psychosoziale Faktoren relevant sind.
Chancen der Resilienzforschung
Es geht bei der Resilienzforschung nicht darum, nur auf die Risikofaktoren oder Abwesenheit psychischer Störungen zu schauen, die eine Entwicklung eines Kindes bzw. eines Erwachsenen erschweren. Hingegen gilt es den Blick darauf zu richten, wie genau Fähigkeiten erworben und erhalten und Entwicklungsaufgaben positiv bewältigt werden. Durch die positive Bewältigung dieser Anforderungen und den Kompetenzerwerb lernt ein Kind sehr wahrscheinlich, dass Veränderungen und Stresssituationen nicht bedrohlich sein müssen. Was unter erfolgreicher Bewältigung verstanden wird oder wie altersentsprechende Entwicklung aussieht, kann sehr unterschiedlich interpretiert werden. Um Resilienz diesbezüglich zu messen, gibt es bisher noch kein einheitliches Forschungsdesign. Grundsätzlich geht die Resilienzforschung aber ressourcen- anstatt defizitorientiert vor. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass Menschen ihr Leben selbst in der Hand haben und die erlebten Situationen mit Hilfe sozialer Unterstützung aktiv bewältigen und mitgestalten können. Dabei geht es nicht darum, Probleme und Schwierigkeiten außer Acht zu lassen, sondern die Ressourcen und Kompetenzen im Umgang mit den Risikosituationen zu nutzen.
Herausforderungen der Resilienzforschung
Liegt der Fokus zu sehr auf den Stärken, Schutzfaktoren und Ressourcen eines Kindes, mag aber auch der Eindruck entstehen, negative Gefühle dürfen nicht mehr erlebt und Schmerzen nicht mehr gefühlt werden. Wird das Konzept der Resilienz zu sehr verengt, gerät das Individuum möglicherweise zu sehr in die Eigenverantwortung und es wird ein durchweg positiver Denkansatz von ihm erwartet. Die Entwicklung von Resilienz als Kompetenz heißt aber auch, Schmerz und Trauer, für deren Verarbeitung es ein hohes Maß an Kraft erfordert, zuzulassen.
Da die Forschung nachweisen konnte, dass risikoerhöhende Faktoren zur Entstehung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter beitragen und dem gegenüber risikomildernde Faktoren stehen, die Resilienz fördern, wurden Resilienzmodelle entwickelt, die diese Risiko- und Schutzfaktorenkonzepte untersuchen.
Quellen:
Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2009). Resilienz (5. aktualisierte Auflage). München: Ernst Reinhardt Verlag.
Kalisch, Raffael (2020). Der resiliente Mensch – Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. München: Piper Verlag GmbH.
Kunzler, A. M. et al. (2018). Aktuelle Konzepte der Resilienzforschung. Nervenarzt 7/2018, 89: 747-753. Online publiziert: 23. Mai 2018. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00115-018-0529-x.pdf .
Lyssenko, L. et al. (2010). Resilienzforschung – Relevanz für Prävention und Gesundheitsförderung. Bundesgesundheitsblatt 2010, 53: 1067-1072. Online publiziert: 28. September 2010. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00103-010-1127-7.pdf .