Das Phänomen der seelischen Widerstandskraft

Was bedeutet Resilienz genau? Warum sind manche Menschen resilienter als andere? Wie kann es sein, dass einige Menschen gestärkt aus Krisen hervorgehen, während andere daran zerbrechen? Wie kommt es, dass Menschen trotz widriger Umstände wie Armut oder Krankheit glücklich zu sein scheinen? Was unterscheidet die Glücklichen von den Unglücklichen? Ganz allgemein geht es bei dem Begriff der Resilienz um die seelische Widerstandskraft eines Menschen.

Eine noch junge Forschung

Die Resilienzforschung ist eine noch relativ junge Wissenschaft, die aus der Frage entstanden ist, warum manche Menschen im Vergleich zu anderen nicht an stressbedingten psychischen Erkrankungen leidet. Das Wort Resilienz lässt sich ableiten vom lateinischen Begriff „resiliere“, was im Deutschen so viel wie „abprallen“ oder „zurückspringen“ bedeutet. Es geht also darum, zu untersuchen, wie Individuen im Vergleich zu anderen ausgestattet sind, damit bestimmte Lebenserfahrungen gewissermaßen an ihnen „abprallen“, und warum sie insgesamt über eine höhere psychische Widerstandskraft verfügen. 

Die Bedeutung von Längsschnittstudien in der Resilienzforschung

Bedeutend für die Resilienzfoschung sind Längsschnittstudien, anhand derer es möglich ist, die Entwicklung von Personen über eine große Zeitspanne hinweg zu untersuchen. In den USA, Europa, Australien und Neuseeland wurden seit Beginn der Forschung 19 Längsschnittstudien durchgeführt (Stand 2019). Eine der bekanntesten ist die Kauai-Studie von Werner und Smith. Die beiden Forscherinnen untersuchten über 40 Jahre lang den gesamten Geburtsjahrgang 1955 der hawaiianischen Insel Kauai. 698 Menschen waren Untersuchungsgegenstand dieser bekanntesten und ältesten Studie der Resilienzforschung. Von dieser Stichprobe war ein Drittel von einer hohen Risikobelastung, wie chronischer Armut oder Erkrankungen bzw. instabilen Beziehungen innerhalb der Familie, betroffen. Bei wiederum einem Drittel von dieser Risikogruppe konnten Werner und Smith gute Entwicklungen anstelle von Verhaltensauffälligkeiten nachweisen. Im Vergleich mit den anderen Probanden war bei dieser Gruppe im Alter von 40 Jahren die Todesrate geringer, sie litten weniger an chronischen Erkrankungen und hatten sich seltener scheiden lassen. Darüber hinaus wurden bei ihnen unterschiedliche Schutzfaktoren, wie hohe Sozialkompetenz und Selbstwirksamkeit, stabile Bezugspersonen und ein starker familiärer Zusammenhalt, festgestellt.

Wie hat sich die Resilienzforschung entwickelt?

Während man zu Beginn der Forschung davon ausgegangen war, Resilienz beruhe auf einer Art natürlicher Veranlagung, wird Resilienz jüngst als Ergebnis eines Anpassungsprozesses an Stressoren interpretiert – beeinflusst durch eine Vielzahl (neuro-)biologischer, psychologischer und sozialer Ressourcen.

In den 1970er Jahren begann die Entwicklungspsychopathologie, die Risikoeinflüsse auf die Entwicklung von Kindern zu untersuchen, wodurch der Blick immer mehr auf sich positiv entwickelnde Kinder und deren intakte Beziehungen, gute schulische Leistungen oder eine optimistische Lebenseinstellung gelegt wurde. Daraus entwickelte sich eine systematische Resilienzforschung. Einer der bedeutenden Forscher dieser Zeit ist Aaron Antonovsky, der 1997 den Begriff der Kohärenz prägte. Seit den 1990er Jahren werden neben Risikofaktoren auch Schutzfaktoren untersucht, die entscheidend sein können für die psychische und physische Gesundheit von Menschen.

Was ist das Ziel der Resilienzforschung?

Die Resilienzforschung will nicht, wie die Psychotherapie, eine Heilung von Störungen bewirken, die Entwicklung von Fähigkeiten zu einer gelingenden Lebensbewältigung fördern. Die Forschung spricht hier von einem Paradigmenwechsel – von der krankheitsorientierten Pathogenese hin zur ressourcenorientierten Salutogenese. So grenzt sich die Resilienzforschung von der pathopsysiologischen Forschung ab, in dem sie früher ansetzt, also vor der Entstehung seelischer Erkrankungen.

Mögliche Definitionen von Resilienz

Ist Resilienz eine Eigenschaft, eine entwickelte Fähigkeit oder ein fortwährender Prozess? Die Forschung geht mehr und mehr davon aus, dass Resilienz nicht ausschließlich auf angeborenen Eigenschaften oder sich entwickelten Fähigkeiten beruht, sondern sie Ergebnis eines kontinuierlichen Anpassungs- und Veränderungsprozesses ist. Von Resilienz als Prozess wird im Zusammenhang wirkungsvollen Verhaltens gesprochen, sich an Stress, an Traumata anzupassen oder deren wesentliche Quellen zu beseitigen.

Resilienz nach Kalisch

Einer der bedeutendsten Resilienzforscher ist Raffael Kalisch. In seinem Buch „Der resiliente Mensch“ schreibt er:

„[…] sollten wir die Frage noch offenlassen, ob Menschen Krisen überstehen, weil sie über bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften verfügen; oder ob das Überstehen der Krise die Form eines Anpassungsprozesses annimmt, in dem sich die Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person vielleicht auch verändern.

Stattdessen sollten wir unsere Definition von Resilienz vom Ende her denken. Jemand ist psychisch gesund, das heißt: er leidet nicht unter einer psychischen Erkrankung. […] Dann erlebt er Schlimmes, also eine Belastung, eine Krise. Doch einige Zeit später stellt er fest: Ich bin immer noch psychisch gesund. Resilienz, definiert als die Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit trotz Widrigkeiten. Weil aber auch die robustesten Menschen selten ganz unverwundbar sind; […] lasst uns sagen:

Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach Widrigkeiten.“ (Kalisch, 2020, S. 28)

Resilienz nach Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse

Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse legen den Fokus in „Resilienz“ auf die Begriffe Entwicklung und Prozess, die von Faktoren begünstigt werden:

„Wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände gesund entwickeln, spricht man von Resilienz. Damit ist keine angeborene Eigenschaft gemeint, sondern ein variabler und kontextabhängiger Prozess. In verschiedenen Langzeitstudien auf der ganzen Welt wurden schützende (protektive) Fakto-ren festgestellt, die dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen zu unterstützen“. (Fröhlich-Gildhoff; Rönnau-Böse, 2019, S. 9)

Ich habe noch mehr geschrieben zu diesem Thema – nämlich zu den Merkmalen von Resilienz sowie Risiko- und Schuzfaktoren.

 

Quellen:

Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Rönnau-Böse, Maike (2009). Resilienz (5. aktualisierte Auflage). München: Ernst Reinhardt Verlag.

Kalisch, Raffael (2020). Der resiliente Mensch – Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. München: Piper Verlag GmbH.

Kunzler, A. M. et al. (2018). Aktuelle Konzepte der Resilienzforschung. Nervenarzt 7/2018, 89: 747-753. Online publiziert: 23. Mai 2018. Zugriff am 08.08.2022 unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00115-018-0529-x.pdf