Gibt es ein Rezept für gute Führung?

Was macht gute Führung aus? Wie führe ich richtig? Welcher Führungsstil ist der richtige? Diese Fragen begegnen mir im Coaching von Führungskräften sehr oft. Gibt es sie also, die Top 10 Tipps für Führungskräfte? Mal abgesehen davon, dass ich im Coaching keine Tipps oder Ratschläge gebe, lässt sich die Frage nach guter Führung nicht so leicht und pauschal beantworten. Auch wenn zahlreiche Ratgeberliteratur mit Titeln wie „Plötzlich sind Sie Führungskraft“, „Erfolgreich führen für Dummies“ oder „Wie du lernst, ein Team zu leiten“ anderes verspricht.

Führung ist nicht gleich Führung

Der Weg von der Fachkraft in die neue Führungsrolle ist nicht immer gleich. Denn die Ausgangsbedingungen für Führungskräfte können ganz unterschiedlich sein – je nachdem ob es eine junge oder eine ältere Leitung ist, ob sie viel oder wenig Erfahrung hat, ob sie aus dem Team heraus entwickelt wurde oder von außen in die Organisation kommt, ob es sich um ein großes oder kleines Team handelt oder wie sich die Persönlichkeiten im Team zusammensetzen und vieles mehr.

Die Anforderungen an Führungskräfte sind komplex

Ein Pauschalrezept für gute Führung kann es aus meiner Sicht nicht geben, weil sich die Anforderungen an gute Führung ständig ändern. So wie die Welt komplexer wird, werden auch die Aufgaben für Vorgesetzte und ihre Teams komplexer. Nehmen wir mal die Pflege als Beispiel. Die aktuellen Herausforderungen sind ein akuter Fachkräftemangel, eine erhebliche Überbelastung sowie sehr hohe Krankenzahlen unter den Beschäftigten – bei einer gleichzeitigen Überbelegung aufgrund von Klinikschließungen und einem gestiegenen bürokratischen Aufwand. Der Fachkräftemangel wird indes noch verstärkt durch eine Generation Z, deren erste Wahl aufgrund der mittelmäßigen Arbeitsbedingungen nicht unbedingt der Gesundheitssektor ist.

Aktuelle Führungsaufgaben

Unter den Führungskräften beobachte ich nicht selten Überforderung, die vor allem zwei Ebenen hat: Das System und das Team. Führungspersonen spüren den Druck von außen durch das System – durch sich verändernde politische Rahmenbedingungen und ökonomische Bedingungen sowie den gesellschaftlichen Wandel. Gleichzeitig haben sie es nicht selten mit Mitarbeitenden zu tun, die zunehmend verunsichert, weniger leistungsfähig und demzufolge auch weniger motiviert sind. Für viele Mitarbeitende hat sich auch der Bezug zur Arbeit selbst verändert. Sie fragen nicht nur, was sie für das Unternehmen tun können, sondern was das Unternehmen für sie tun kann. Arbeit soll sinnstiftend und erfüllend sein, nicht bloßer Broterwerb.

Welcher Führungsstil ist der richtige?

Auf politischer Ebene lässt sich in Europa aktuell Folgendes beobachten: Viele Menschen sehnen sich nach autoritärer Führung. Ziemlich paradox, oder? Wo wir gerade doch sehr gut sehen, was Autokratien anrichten können. Was für die meisten Menschen essenziell ist, ist Sicherheit. Diese glauben viele bei autoritären Persönlichkeiten zu finden. Ist ein autoritärer Führungsstil also wieder zeitgemäß? Sicherheit lässt sich meiner Ansicht nach auch ohne die Demonstration von Macht vermitteln – nämlich in dem ich meinen Mitarbeitenden das Gefühl vermittle, dass ich mich für sie einsetze und sie auf mich zählen können, egal was kommt. Um bei dem Beispiel der Pflege zu bleiben: die Führungskräfte haben keine Möglichkeit von heute auf morgen das System zu verändern, aber sie können Rückgrat zeigen, für ihr Team einstehen und es schützen, zum Beispiel in dem sie sich an die Klinikleitung wenden und sagen: „Es reicht, die Arbeitsbelastung ist zu hoch. Mehr Patienten können wir nicht aufnehmen. Ich habe nicht genug Personal dafür.“

Der authentische, glaubwürdige Führungsstil

Vielleicht ist das mit dem Rückgrat einfacher gesagt, als getan. Schließlich sitzt eine Führungskraft immer zwischen den Stühlen – also zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitenden. Sie muss Entscheidungen treffen, die nicht unbedingt jedem Teammitglied gefallen werden. „Führung auf Augenhöhe“ ist ein notwendiger Anspruch, aber ist er immer realisierbar? Fühlt sich jeder Mitarbeitende immer auf Augenhöhe behandelt? Auch eine Person in Führung macht Fehler. Letztlich geht es darum, den eigenen Führungsstil zu finden. Einen authentischen, glaubwürdigen Führungsstil verkörpert aus meiner Sicht jene Führungskraft, die selbstreflexiv immer wieder an sich selbst und ihrem Team arbeitet, die sich aktuellen Situationen ohne Furcht stellt und ihrem Team Vertrauen entgegenbringt und Zuversicht vermittelt. Jene Führungskraft setzt darauf, dass sich Menschen, nicht nach Autorität, sondern nach Verbundenheit, Sinn und Gemeinschaft sehnen. Sie fordert und fördert ihre Mitarbeitenden, entwickelt sie also weiter und bringt sie in Eigenverantwortung. Eigenverantwortliches Handeln scheint mir die aktuell größte Anforderung an Fach- und Führungskräfte zu sein. Nur wer eigenverantwortlich handelt, hat die Möglichkeit etwas zu verändern – für sich selbst und für die Gemeinschaft. 

Ich möchte noch auf einen lesenswerten Artikel unter dem Titel Adaptive Work verweisen, der die aktuellen Führungsaufgaben sehr gut auf den Punkt bringt.